Der Zelten und sein mystisches Gedankengut - Fortsetzung
In der Thomasnacht konnte man vom Backofen die Zukunft erfahren. Nach dem Betläuten musste das Ohr ans Ofenloch gelegt werden; hörte man es singen und pfeifen, bedeutete das Glück, war ein weinerlich klagendes Geräusch aus dem Ofen zu entnehmen, bedeutete dies Unglück und Tod in nächster Zeit. Oder beim Zeltenbacken zogen die Mädchen mit abgewandtem Gesicht ein Scheit aus dem Ofen und deuteten daraus die Gestalt und den Wuchs ihres zukünftigen Freiers.
Im Brauchtum der Verliebten und Verlobten scheint in Nordtirol das Anschneiden des Zeltens der wichtigste Liebesbrauch überhaupt gewesen zu sein. Das Anschneiden des Zeltens wurde zu einem feierlichen Akt erhoben. Nur die Familienangehörigen nahmen daran teil. Die Knechte und Mägde sind mit einem Zelten bereits aus dem Haus um ihre Angehörigen zu besuchen. Dieser Besuch des Elternhauses ist besonders bei den Mägden wichtig, die ein Verhältnis mit einem Burschen hatten oder eines eingehen wollten. In diesem Falle durfte ihr der Auserwählte den Zelten nachtragen. Die Anfrage zu diesem Dienst ist zugleich eine Liebenserklärung, die Zusicherung von Seite des Mädchens Beweis ihrer Gegenliebe. Der Bursch kam dann bei Einbruch der Dunkelheit ans Fenster seiner Geliebten, die ihm den Zelten mit Butter vorsetzte. Er brachte als Gegengeschenk ein Fläschchen Gebranntes oder ein anderes kleines Geschenk mit.
In vielen Teilen Tirols durfte der Zelten erst angeschnitten werden, nachdem er drei Mal geräuchert worden war. Der Tag des Anschneidens (am häufigsten der Dreikönigstag aber auch der Stephanitag) war aber auch oft ein Schicksalstag für die ganze Familie. Eine besondere Bedeutung hatte der erste Anschnitt, das Scherzl.
Als letzter Termin für das Anschneiden eines Zeltens wird sehr häufig der 20. Jänner, Tag der Heiligen Fabian und Sebastian, erwähnt. Die Brosamen des Zeltens spielen im bäuerlichen Glauben eine besondere Rolle, denn ihnen wohnt eine besondere Kraft inne. Sie durften auf keinen Fall sorglos weggeworfen werden, sondern wurden gesammelt und auf Äcker und Wiesen gestreut oder den Tieren im Stall verfüttert, um diese Kraft im positiven Sinne weiter zu geben.