Advent feiern mit alten Tiroler Gebildbroten
Mit dem Erntedankfest, den anschließend folgenden Festtagen „Allerheiligen und Allerseelen“ sowie dem Fest des Hl. Martin (Martini), neigt sich ein kirchlicher Festkreis seinem Ende zu, der ganz im Zeichen des Dankes und im Gedenken an die Verstorbenen stand. Die Menschen versuchten mit dem Rhythmus der Natur einen Einklang herzustellen. Mit Versöhnungsritualen haben die Menschen im bäuerlichen Bereich in der Vergangenheit versucht, sich immer wieder mit der Natur zu versöhnen. Dabei kam es zu einer Vermischung von christlichem und vorchristlichem Gedankengut. Die ersten Vorboten des bevorstehenden Weihnachtsfestkreises waren der Advent und die Verehrung des „Sankt Nikolaus“. Diese Periode leitete eine stille und besinnliche Zeit ein. Im Mittelpunkt stand aber bereits die Vorbereitung auf das ganz große Fest zu Ehren der Geburt des Heilands, den Sohn Gottes.
Einen besonderen Schwerpunkt bildete dabei wiederum eine Vielzahl von Gebildbroten. Das Brot war allgemein über viele Jahrhunderte Gegenstand besonderer Verehrung und Wertschätzung. Das Brot und Gebäck zu besonderen kirchlichen Festtagen stellte dann aber noch eine Steigerung dar. So wurden für dieses Brot und Gebäck nur besondere Zutaten, wie Weizenauszugsmehl, Zucker oder Honig, Butter, seltene Gewürze und Trockenfrüchte verwendet. Dabei gab es neben dem Gebildbroten aus Hefeteig auch noch Schmalzgebäcke und Lebkuchenformen. Der Ursprung der Gebildbrote stand immer wieder im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Um in der Vielfalt ein bessere Orientierung zu haben, können Gebildbrote ganz allgemein nach folgenden Kriterien unterteilt werden: Form, kalendarische Zeitpunkt, regionale Ausprägung und mythologische Erklärungsversuche. Die Herstellung der Gebildbrote war im ländlich bäuerlichen Bereich vorwiegend im häuslichen Bereich anzutreffen, während im städtischen Bereich fast ausschließlich die Bäckereien dafür zuständig waren. In der Gegenwart wird dieser Bedarf fast ausschließlich von Schokolade- und Lebkuchenindustrie abgedeckt.
Die Gebildbrote während der Adventzeit sind geprägt und bestimmt vom 5./6. Dezember, dem Nikolausabend bzw. -tag. Dieser große Tag für die Kinder war als Schenktag einst bedeutsamer als der Heilige Abend. Die Nikolauslegende fand rasche Verbreitung sowohl im christlichen Abend- und Morgenland. Die Gründe dafür liegen in den verschiedenen Motiven der Legende des Heiligen. Den 304 in Myra (Lykien) verstorbenen Kirchenfürst wurde nachgesagt, dass er ermordete Kinder wiederbelebt, Gefangene befreit, Menschen vor Hungers- und Seenot gerettet und der sich besonders für Kinder eingesetzt hat. Seit seine Gebeine 1087 von italienischen Kaufleuten nach Bari gebracht wurden, wuchs die Zahl seiner Verehrungsstätten in einem ungeheuerlichen Ausmaß an, sodass sie nur mehr von der Verehrung Mariens übertroffen wurde. Die Beliebtheit des Heiligen führte dann auch dazu, dass er Patron vieler Stände und Gewerbe, darunter der Bäcker und Schiffer, der Schüler und Kinder wurde.
Deswegen finden sich bei den Gebildbroten sehr viele Formen, die den Nikolaus und seine Begleiter, und hier vor allem den Krampus, darstellen. Ein weiteres beliebtes Motiv war und typisch für die Zeit um den Nikolaustag war das „Thomasradl“. Ein Motiv, das leider in Vergessenheit geraten ist und im Großraum Innsbruck Verwendung fand, war das Motiv der „Himmelsleiter“. Für die Herstellung von Gebildbrote verwendete man entweder einen Weizenteig oder einen „feinen Hefeteig“.
Das Thomasradl war während meiner Bäckerzeit (1966 -1973) noch ein beliebtes Brauchtumsgebäck während der ersten Dezembertage bis zum 6. Dezember, dem St. Nikolaustag. Es wurde noch aus einem einfachen Weizenteig hergestellt. Heute ist das Thomasradl fast in Vergessenheit geraten. Nur einige wenige tradtionsbewusste Bäcker in Tirol backen noch das Thomasradl während der besagten Zeit, heute aber aus einem "Feinen Hefeteig". Eine Geschichte über das Thomasradl, die vor ca. 100 Jahren geschrieben wurde, sollte uns vielleicht wieder bewusst machen, welche Bedeutung dieses Brauchttumsgebäck einst in der Tiroler Bevölkerung hatte. Diese Geschichte beweist aber auch, dass vor ca. 100 Jahren eine große Veränderung im Weihnachtbrauchtum im Gange war, und die in der ländlichen Bevölkerung teilweise durchaus kritisch gesehen wurde.
Beim Thomasradl erleben wir aber auch ein klassisches Beispiel, wie vorchristliches Gedankengut, das "Mitwinterfest", mit einem religiösen Motiv überlagert wird. Im Aberglauben hatte dieses ursprüngliche Gedankengut aber weiterhin seinen fixen Bestandteil. So konnte man während der Thomasnacht die Zukunft erfahren. Nach dem Betläuten musste das Ohr ans Ofenloch gelegt werden; hörte man es singen und pfeifen, bedeutete das Glück, war ein weinerlich klagendes Geräusch aus dem Ofen zu entnehmen, bedeutete dies Unglück und Tod in nächster Zeit. Oder beim Zeltenbacken zogen die Mädchen mit abgewandtem Gesicht ein Scheit aus dem Ofen und deuteten daraus die Gestalt und den Wuchs ihres zukünftigen Freiers.
´s Thomasradle
Von: Dr. Norbert Mantl
Meine Heimat Nassereith hat noch einige alte, längst nicht mehr verstandene kleine Erinnerungen an uralte Zeiten erhalten, deren interessantestes das „Thomasradle“ ist.
In meiner Jugendzeit gab es bei uns keine Weihnachtsbescherung und keinen Christbaum. Die Bescherung geschah ausschließlich am Nikolaustag, ein im Gegensatz zu heute ernster, feierlicher Tag, dessen Höhepunkt aber erst zu später Abendstunde mit dem Erscheinen des heiligen Nikolaus mit Engeln und dem Eselchen und den fürchterlichen „Klaubaufs“ erreicht wurde. Christbäume gab es im Dorfe nur drei, auf der Post, bei Boßhard, einem renommierten Schweizer, und im Vaterhaus Franz Kranebitters, wohl unter dem Einfluss des Dichters selbst. Niemand hatte das Verlangen, das „noble“ Wesen nachzumachen. Ich mag den Christbaum heute noch nicht. Da ist die Weihnachtskrippe denn doch ganz etwas anderes. Aber allmählich kam er still und kampflos eben doch obenauf und Nikolaustag und Weihnachtskrippe verschwanden und versanken lautlos. So um 1910 war die Wende vollzogen. Die Zeit und die Verhältnisse sprechen nicht zu Gunsten des Neuen!
Noch etwas verschwand um diese Zeit der Wende, ein uraltes, längst nicht mehr auch nur dem Namen nach verstandenes Relikt vergangener Zeit und gerade dadurch treu erhalten, das Thomasradle. Was war das? Am zweiten Weihnachtsfeiertage gab es für jedes Kind einen Teller voll Gutelen (Süßigkeiten), Nüsse gebratener Kastanien und obenauf lag geheimnisvoll, gespenstig, fremdartig, das „Thomasradle“, eigentlich die Hauptsache, für welche die Gutelen und die „Kösten“ nur Garnitur waren und die auch nicht heimlich „eingelegt“, sondern von der Mutter offen auf den Tisch gestellt wurden. Das Thomasradle bestand aus schlichtem Weißbrot und wurde beim Bäcker gekauft, also nicht zu Hause hergestellt. Es war nicht süß und enthielt auch keine Zibeben oder andere Zutaten. Nachahmungen kleineren Formats, die es gelegentlich unter den Gutelen gab, galten nicht. Das Thomasradle wirkte nur durch seine seltsame Gestalt und tat es voll und ganz. Es ist nichts anderes als ein uraltes Sonnensymbol, die Swastika oder das in den letzten Jahren so gründlich in Verruf geratene Hakenkreuz, ein ganz sinnloser, oberflächlicher Name. Dass es das uralte Sonnenrad ist, verrät in Nassereith sogar der Name. Dem Kenner ist nun mit einem Schlage alles klar. Uralte heidnische Riten zur Wintersonnenwende, zur Wiederkehr des Lichtes und der besseren Jahreszeit werden wieder bis in Einzelheiten lebendig und die christlichen Missionäre späterer Zeit hatten keine Veranlassung, das Fest im ganzen zu verbieten, nur änderten sie es im christlichen Sinn etwas ab. Aus dem Sonnenrad wurde zu Ehren des heiligen Thomas das Thomasradle.
Seine Form dürfte aus ältester Zeit bis in meine Jugendzeit die gleiche geblieben sein, und gerade darum war es mit einem Geheimnis, mit einem mystischen Erschauern umschlossen. Dieses mystische Erschauern blieb erhalten, als längst das Verständnis für sein Wesen verloren gegangen war und wurde von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben, wie ich es von meiner Mutter empfing, wenn sie den Teller mit feierlichem Schweigen auf den Tisch stellte. Verstärkt wurde der Eindruck durch die Verehrung, die das Brot damals überhaupt noch besaß und durch strenge Vorschriften vor der Profanisierung geschützt wurde – war es doch der „Leib unseres Herrn“!
Erschienen in: Tiroler Heimatblätter; 1930iger Jahre